Reparieren macht glücklich
Wolfgang WienhöferPatrick Kleiboldt/ der Dom
Von vielen Herstellern sind sie auch gar nicht mehr vorgesehen. "Das lohnt nicht", lautet deshalb meistens die Diagnose. Das Todesurteil für Taschenlampen mit Wackelkontakt oder Staubsauger genauso wie für Fernseher oder Computer-Drucker - Dinge, die häufig richtig teuer waren. Damit landet bildlich gesprochen viel Geld in der Tonne. Doch nicht nur das: Ganz real wandern wertvolle Ressourcen in den Müll. Denn längst nicht alles wird wiederverwertet. Doch es gibt eine Gegenbewegung: "Repair-Cafés" - Treffpunkte, wo alles Mögliche vom Kinderdreirad bis zum Smartphone wieder in Gang gebracht wird. Eines dieser Cafés steht in Werl-Westönnen.
Zielstrebig geht Wolfgang Wienhöfer auf die Eingangstür des alten Bauernhofes zu. Unter dem Arm hat er einen Stuhl, bzw. das Holzgestell eines Stuhls. "Die Sitzfläche habe ich zu Hause gelassen, da ist nichts dran", sagt er und weist auf das Gestell, das an einigen Stellen buchstäblich "aus dem Leim gegangen ist". Wienhöfer ist nicht zum ersten Mal hier und er weiß schon, wer ihm weiterhelfen kann: Konrad Radke ist der Holz-Spezialist im Westönner Reparatur-Café.
Konrad RadkePatrick Kleiboldt/ der Dom
"Und ich dachte, ich hätte mittlerweile alle Stühle im Dorf repariert", begrüßt der 75-jährige gelernte Schreiner den Mann mit dem lachend und erzählt: "Als es hier losging, stapelten sich die kaputten Stühle förmlich." Wienhöfer ist selbst Handwerker. "Doch Holz ist nicht so mein Metier", erklärt der Werkzeugmacher-Meister. Dann arbeiten Metaller und Tischler Hand in Hand: Leim auftragen, Teile zusammenfügen, Zwingen ansetzen und festziehen: Für Radke reine Routine, und Wienhöfer weiß, wo er als Handlanger gefragt ist. "Der Stuhl dürfte rund 45 Jahre alt sein", meint der Westönner. Jetzt ist er optimistisch, dass nach der Frischzellenkur noch einige Jahre dazukommen.
"Wir können uns das Wegwerfen schlicht nicht mehr leisten, wir haben nur diese eine Erde", fasst der Werkzeugmacher-Meister seine Beweggründe zusammen, warum er immer mal wieder vorbeikommt. Die aktuellen Zahlen geben ihm Recht. Exakt an dem Termin, an dem das Café in diesem Monat geöffnet ist, ist auch "Erdüberlastungstag 2022": Würden alle Menschen so leben wie die Deutschen, wäre schon am 4. Mai 2022 das weltweite Ressourcen-Budget für dieses Jahr aufgebraucht gewesen.
Maria KemperPatrick Kleiboldt/ der Dom
Konrad Radke gehörte zu denjenigen, die die Idee für das Reparatur-Café in Westönnen entwickelt haben. Ein Fernseh-Bericht weckte sein Interesse. Kontakte wurden geknüpft und bald waren einige pensionierte Handwerker mit im Boot - ebenso wie die örtliche Caritas-Konferenz St. Cäcilia, unter deren Flagge die Initiative dann konkret Gestalt annahm. Sprecherin Maria Kemper erinnert sich: "2017 ging es voller Elan an den Start, zuerst mussten die passenden Räume gefunden werden." Organisatorische Unterstützung gab es vom Caritasverband Soest und vom Erzbistum. Bei der Raum-Suche wurde man mitten im Ort fündig: Ein leerstehender Bauernhof entpuppte sich als ideal. Maria Kemper: "Die Eigentümer freuten sich, dass wieder Leben in das denkmalgeschützte Gebäude einzog, und wir hätten keine bessere Lösung finden können!" Nach der Segnung der Räume im November 2018 durch den Werler Propst Michael Feldmann ging das Café kurz darauf offiziell an den Start. Vorher wurde in Holland, wo der Begriff "Repair-Café" geschützt ist, noch eine Lizenz beantragt.
das EingangsschildPatrick Kleiboldt/ der Dom
Der Beginn einer echten Erfolgsgeschichte: An jedem ersten Mittwoch im Monat wird der alte Bauernhof seitdem regelmäßig zur Anlaufstelle für alle, die Hilfe brauchen, weil etwas kaputt gegangen ist, das zum Wegwerfen zu schade ist.
Doch nicht nur im Dorf wurde man aufmerksam, die Initiative bekam auch offizielle Anerkennung: Zuerst gewann das CKD-Reparatur-Café im Sommer 2019 den zweiten Platz beim Pauline-von-Mallinckrodt-Preis der CaritasStiftung für das Erzbistum Paderborn, und im November des Jahres folgte die Auszeichnung mit dem Preis "Im Zeichen des Weinstocks" der Caritas-Konferenzen auf Bundesebene. "Ein toller Erfolg für alle Beteiligten", erinnert sich Maria Kemper.
Über einen weiteren Effekt freut sich die Vorsitzende der Westönner Caritas-Konferenz ebenso: "Nach über 50 Jahren sind wieder Männer in unserer Caritas-Konferenz aktiv." Beim Café läuft das auf die klassische Arbeits- bzw. Rollenverteilung hinaus. Die Männer sind für die Reparaturen zuständig, die Frauen für das leibliche Wohl. Christel König und Ilka Geldmann versorgen die Gäste heute Nachmittag mit Kaffee und Waffeln.
im Kampf gegen VerschwendungPatrick Kleiboldt/ der Dom
Die fleißigen Handwerker sind ebenfalls für eine kleine Stärkung dankbar, denn sie stehen immer wieder vor echten Herausforderungen. Wolfgang Franke hat einen Flachbildfernseher vor sich auf dem Tisch. "Wenn man den Fehler gefunden hat, stellt sich die Frage, ob man ihn beheben kann, denn da sind ein paar Hürden zu nehmen." Einige davon, so der Elektronik-Experte, seien sicherlich modernen Fertigungsabläufen geschuldet: "Da wird zum Beispiel geklebt statt verschraubt." Mit dem Ergebnis, dass eine Reparatur möglicherweise daran scheitert, dass beim Öffnen das Gehäuse oder andere wichtige Teile zerstört werden. Hinzu kommen Schrauben, die sich mit normalen Schraubendrehern nicht bewegen lassen, und viele andere Faktoren. "Man hat schon den Eindruck, dass viele Hersteller absichtlich Reparaturen erschweren oder sogar unmöglich machen wollen", sagt jemand aus dem Team und die Umstehenden nicken. Deshalb gibt es für die Pläne der EU, Hersteller per Gesetz zu mehr Reparaturfreundlichkeit zu verpflichten, viel Zustimmung aus dem Kreis.
immer wieder neue HerausforderungenPatrick Kleiboldt/ der Dom
Doch bis dahin kann es noch dauern. Und entsprechend vieles wird als irreparabel im Müll landen. "Völliger Irrsinn, ein ganzes Gerät entsorgen zu müssen, nur weil eine Komponente ihren Dienst quittiert hat, man diese aber nicht austauschen kann", fasst Franke den aktuellen Zustand zusammen und fügt hinzu: "Wenn man überlegt, was an wertvollen Rohstoffen in so einem Gerät steckt!" Denn gerade bei Elektronik ist es mit der Wiederverwertung nicht weit her. Deutschland liegt im internationalen Vergleich beim Recycling zurück. Doch selbst wenn sich in diesem Bereich in absehbarer Zeit etwas tut und der Verlust von hochwertigen Materialien und Rohstoffen eingedämmt wird: Reparieren und Weiterverwenden ist auf jeden Fall umweltschonender.
Und nicht nur das: "Reparieren macht glücklich", sagt der Direktor des Deutschen Museums in München, Professor Wolfgang Heckl. Er ist privat ein großer Bastler und Tüftler und greift zu Hause immer wieder selbst zum Schraubenzieher. Heckl setzt sich vehement für eine neue Kultur des Reparierens ein, um Ressourcen zu schonen. Tausende von Jahren, so der Physiker, sei es normal gewesen, beschädigte Gegenstände instand zu setzen. Sie wegzuwerfen, sei erst seit rund 50 Jahren ein Trend. Heckl hat dazu ein Buch geschrieben und zeigt in seiner "Kultur der Reparatur" auf, warum Reparieren wirtschaftlich unumgänglich ist. Dabei vergisst er auch die soziale Komponente nicht: "Reparieren beruhigt, Reparieren lässt sich gemeinsam mit anderen machen!" Dass der Museums-Direktor damit absolut richtig liegt, können hier in Westönnen alle bestätigen.
Der Teufel steckt im DetailPatrick Kleiboldt/ der Dom
Elektro-Geräte machen den Löwenanteil der Reparaturen aus. Entsprechend aktiv sind heute Nachmittag die Elektrik-Experten. Peter Riemenschneider und Burkhard Kanthak haben einen schwierigen Fall auf dem Tisch: Ein Massagekissen, das seinen Geist aufgegeben hat. Mitgebracht hat es Hubert Wittenbrink: "Das ist so rund 30 Jahre alt, aber ehe ich es wegwerfe, komme ich lieber noch mal hier vorbei!" Und er setzt hoffnungsvoll hinzu: "Vielleicht ist ja doch noch was zu machen!" Kanthak und Riemenschneider lassen sich das nicht zweimal sagen und beginnen, den Fehler zu suchen. Nach kurzer Zeit ist eine Steckverbindung als Quelle ausgemacht. Die beiden entscheiden, den Stecker herauszutrennen und die dünnen Kabel einzeln direkt miteinander zu verbinden. Isolierung entfernen, die blanken Kabel mit Lötzinn versehen, anschließend die richtigen Enden miteinander verlöten - anspruchsvolle Pfriemelei.
"Das sind natürlich Arbeiten, die man normalerweise nicht bezahlen kann", weiß Riemenschneider. Abgesehen davon, dass es solche Werkstätten auch gar nicht mehr gebe, fügt Kanthak hinzu: "Das ist im Wirtschaftskreislauf bei diesen Produkten einfach nicht mehr vorgesehen." Die beiden sind konzentriert bei der Sache und schließlich ist alles wieder so miteinander verbunden, wie es sich gehört.
die meisten Reaparaturen sind an ElektrogerätenPatrick Kleiboldt/ der Dom
Doch der Erfolg lässt auf sich warten, das Kissen bleibt unbeweglich, der Motor läuft nicht. Statt aufzugeben, wird die Fehlersuche ausgeweitet. Ein Messgerät zeigt einen Kabelbruch, der zusätzlich zur defekten Steckverbindung die Stromzufuhr unterbricht. "Kannst du damit leben, dass wir das Kabel kürzen?" Nachdem der Eigentümer die Frage bejaht hat, ist der Rest schnell erledigt. "Danke, toll gemacht", freut sich Wittenbrink, der gleich am Eingang auch noch einen Obolus in die Spendenbox werfen wird. Denn abgerechnet wird hier nicht, Spenden sind aber willkommen.
Hubert Wittenbrink ist also zufrieden. Und manchmal sind Menschen regelrecht "selig", wenn eine Reparatur geklappt hat. So wie der ältere Herr, der vor einiger Zeit ein Spielzeug-Auto aus Blech mitbrachte, das er als Kind geschenkt bekommen hatte. Leider fuhr es nicht mehr. Der Schaden an der Aufzugsfeder war aber schnell behoben, und strahlend ging der Mann nach Hause.
alles wird repariertPatrick Kleiboldt/ der Dom
Ein Stück weiter am Tisch widmen sich Klaus-Dieter Kienz und Hans Stratmann einer kleinen Nachttischlampe, die nicht mehr leuchten will. Eigentlich keine große Sache, aber nach dem Aufschrauben zeigt sich, dass einiges an filigraner Elektronik im Gehäuse steckt. Den Maschinenschlosser und den gelernten Elektro-Installateur schreckt das nicht ab. Die Frage ist allerdings, ob es entsprechende Ersatzteile gibt. "Was sich nicht wiederherstellen lässt, kann man immer noch ausschlachten, wer weiß, wozu man die Einzelteile noch brauchen kann", erklärt einer aus der Runde die Vorgehensweise, die dafür sorgt, dass das Lager immer gut sortiert ist.
Entsprechend gut stehen die Chancen, dass auch ein fast museales Gegenstück zur aktuellen Unterhaltungselektronik bald wieder funktionieren wird: Bei Martin Post am Empfang, wo alle eingehenden Reparatur-Fälle registriert und mit einem Aufkleber versehen werden, steht ein altes Röhrenradio. Optisch ist es noch top in Schuss, allerdings bleibt der Lautsprecher hinter der Stoffbespannung derzeit stumm. "Das kriegen wir hin!" Der Satz, der heute schon oft zu hören war, dürfte sich auch in diesem Fall als zutreffend erweisen. Schließlich repräsentieren die Männer vom Reparatur-Café geballte Handwerks-Kompetenz: Maschinenschlosser, Tischer, Elektro-Installateur, Kälteanlagen-Techniker - für die meisten Probleme gibt es hier mindestens einen Fachmann.
Georg Schuchardt Patrick Kleiboldt/der Dom
Georg Schuchardt ist der Fahrrad-Experte im Team. Zwischenzeitlich hatte er sich schon um einen Staubsauger mit Wackelkontakt gekümmert, doch jetzt kommt doch noch ein reichlich angeschlagener Drahtesel um die Ecke. Werner Wanders packt mit an, und ruckzuck ist das Rad in der Reparaturvorrichtung festgemacht. Schuchardts erste Diagnose fällt ernüchternd aus: "Licht kaputt, Schaltung kaputt, Ständer kaputt ¬- der Fahrradhändler würde sagen: Kauf dir ein Neues!" So ein Rat kommt Schuchardt so schnell nicht über die Lippen: Der heruntergekommene Zustand des alten Holland-Rades schreckt den Mechaniker nicht ab, sondern motiviert ihn. "Verkehrssicher kriegen wir das auf jeden Fall wieder!"
Die Erfolgsquote im Westönner Reparatur-Café kann sich sehen lassen: In etwa drei von vier Fällen gelingt die Reparatur - auch wenn es manchmal etwas länger dauert. Gerade die schwierigen Fälle wecken den Ehrgeiz der Handwerker. Dann wird überlegt, getestet, probiert und getüftelt. "Manchmal ist man allerdings irgendwann mit seinem Latein am Ende", sagt jemand aus dem Team. "Ja, zum Beispiel dann, wenn ein Gerät nicht funktioniert, weil gar keine Batterien drin sind", meint ein anderer und alle lachen. Technisches Verständnis ist eben nicht gleichmäßig verteilt... "Umso schöner, wenn sich manche Probleme so einfach lösen lassen", fügt Werner Wanders hinzu.
Dankeschön!Patrick Kleiboldt/ der Dom
Hubert Wittenbrink verabschiedet sich für heute: Er klemmt sich das Massagekissen unter den Arm und betätigt zum Abschied seine Fahrradklingel: "Danke und bis die Tage!" In den Werkstatt-Räumen wird noch weitergemacht. Dinge, die darauf warten, wieder zum Leben erweckt zu werden, gibt es genug. Das ein oder andere könnte dabei auch Kopfzerbrechen bereiten. "Sicher muss man manchmal lange überlegen und probieren", sagt Peter Riemenschneider, "aber wenn man allein nicht weiterkommt, finden wir gemeinsam meistens eine Lösung." Schließlich bringen alle jede Menge Berufserfahrung mit - und den Anspruch, der Ex-und-Hopp-Mentalität hier und da ein Schnippchen zu schlagen.
Heute haben die Handwerker vom Reparatur-Café es auf jeden Fall wieder geschafft, beim sich immer schneller drehenden Kreislauf von Wegwerfen und Neukaufen ein bisschen auf die Bremse zu treten. Eine Win-Win-Win-Situation: Für die Menschen in Westönnen, die Reparatur-Experten selbst und nicht zuletzt die Umwelt.
Andreas Wiedenhaus/ derdom