Kleiderkammer und Tafel in der Kirche? Warum nicht?
Gerda SchultefrankenfeldWaltraud Leskovsek
Gerda Schultefrankenfeld geht es im Moment gut. Richtig gut. Gerade hat die 69 Jährige die Essensausgabe der Tafel geschlossen. Die meisten ihrer Mitstreiterinnen haben sich schon verabschiedet, während sie noch welke Salatblätter aus den leeren Kisten zupft und auf eine alte Zeitung legt. Ordnung muss sein. Außerdem kommt Gerda Schultefrankenfeld beim Aufräumen zur Ruhe. "Ich habe mich vorn zum Herrn im Altarraum gewandt und mich bei ihm bedankt. Wieder haben wir 50 Familien zu essen gegeben", sagt die Vorsitzende der Caritas-Konferenz St. Pius in Wiedenbrück.
Tatsächlich: Die Essensausgabe findet direkt in der Kirche statt, in einer Seitenkapelle von St. Pius. "Früher waren wir mit der Tafel im Gemeindehaus, aber in das wurden 2022 kurzzeitig Geflüchtete einquartiert", berichtet Gerda Schultefrankenfeld. "Wir mussten Knall auf Fall raus, also sind wir in die Kirche umgezogen." Weil die geflüchteten Menschen nichts anzuziehen hatten, erweiterte die örtliche Caritas-Konferenz das Angebot gleich noch um eine Kleiderkammer.
In der Gemeinde kam das nur teilweise gut an. Eine Essensausgabe im Gotteshaus? Mit Bröseln auf dem Boden und lärmenden Kindern zwischen den Kirchenbänken? Menschen, die sich in der Kirche Kleidung aussuchen? Gar Muslime? Gerda Schultefrankenfeld ließ sich davon nicht beirren. Innerhalb von 36 Stunden war die Essensausgabe in die Kirche gezogen und wenig später die Kleiderkammer eröffnet. Den Segen des Kirchenvorstands holte sich die Caritas-Konferenz auf dem kurzen Dienstweg. Im beschaulichen Wiedenbrück liegt Pragmatismus in der Luft: Menschen haben Hunger und brauchen Kleidung, die Gottesdienstzeiten und die Öffnungszeiten von Essensausgabe und Kleiderkammer kommen einander nicht in die Quere. Fall erledigt. Freiräume nutzen, im
Engagement und Glauben
Für Gerda Schultefrankenfeld ist die Nutzung des Gotteshauses für karitative Zwecke der Beleg dafür, dass die Kirche im Kleinen durchaus veränderungswillig und veränderungsfähig ist. In dem Moment, in dem sich die Hauptamtlichen aus Aufgabenfeldern zurückziehen, entsteht Freiraum für die Ehrenamtlichen. Wer Aufgaben übernimmt, trägt Verantwortung. Wer die Verantwortung hat, trifft Entscheidungen.
Auch in ihrem Glaubensleben beansprucht die ehrenamtlich Engagierte Freiräume für sich. In Armut aufgewachsen, hat sie als Kind die Hilfe der Caritas in Anspruch nehmen können. Einen Reisekoffer hat die Caritas dem Mädchen damals gestiftet, nicht als Geschenk, sondern als Dauerleihgabe, und ihm auf diese Wie se eine Ferienfahrt ermöglicht.
Das erfahrene Gute gibt Gerda Schultefrankenfeld nun zurück. "Für mich hat die tätige Nächstenliebe einen hohen Stellenwert", bekennt sie. "Sogar eine größere Bedeutung, als die Kirche der Caritas gemeinhin zubilligt. Meine Aufgaben sehe ich weniger in der Verkündigung. Dafür sind andere da."
Den Platz in der Kirche gefunden
Gerda Schultefrankenfeld freut sich an der Freiheit, die Kirche für Bedürftige nutzen zu können. Umso mehr bedauert sie, dass sich andere Freiheiten nicht so einfach nehmen lassen. Etwa beim Diakonat der Frau. Sie selbst hat es nie nach einem Weiheamt verlangt. "In der Caritas habe ich meinen Platz in der Kirche gefunden", erklärt sie. "Aber andere Frauen haben andere Ziele und können diese in der Kirche nicht erreichen."
Veränderungsbereitschaft und Synodalität fordert Gerda Schul tefrankenfeld nicht nur von der
Amtskirche. Kirche ist für sie die Gemeinschaft der Gläubigen. Ungern erinnert sie sich daran,
als sie das erste Mal als Kommu nionhelferin in einem liturgischen Gewand in ihrer Kirche stand. Es gab Gemeindemitglieder, die bei der Austeilung der Kommunion sitzenblieben und sie keines Blickes würdigten. Die Kirche zu verlassen, ist für Gerda Schultefrankenfeld keine Option: "Das ist wie beim Fußball. Von außen schlau reinrufen kann jeder. Etwas verändern kann nur, wer mitspielt."
Kirche als ein Ort des Zuhörens
Die nächste konkrete Veränderung in St. Pius ist bereits passiert. Während der Ausgabe von Essen und Kleidung konnten die Helferinnen und Helfer der Caritas-Konferenz beobachten, dass die Menschen nicht nur materi elle Unterstützung benötigen. Viele suchen das Gespräch. Manche wollen einen Klatsch halten, andere brauchen Unterstützung bei praktischen Fragen der Lebensführung, wiederum andere suchen Zuspruch, Halt und Trost.
Also hat die Caritas Konferenz das Angebot nochmals vergrößert und die in der Seitenkapelle von St. Pius zum Ort des Zuhörens gemacht. Das Angebot wurde vom Fleck weg gut angenommen. Und die Kirchengemeinde? Zieht diesmal voll mit!
Erschienen in wirzeit 02/2023