Erste Schritte auf einem schwierigen Weg
Alfons Goris freut sich, dass seine „Schülerinnen und Schüler“ hochmotiviert bei der Sache sind. Im Rathaus oder beim Einkauf können sich die Ukrainer nach der ersten Woche Deutschkurs schon verständlich machen.Anja Bieler-Barth, Siegener Zeitung
nja Kreuztal. "Ich heiße Anna. Ich komme aus Kiew. Ich bin seit ein Monat hier". Nicht einmal 16 Stunden Deutschunterricht hat die junge Frau und Mutter erlebt, die hier in ruhigem Ton auf eine Frage antwortet, die sie sicherlich nicht zum ersten Mal gehört hat. Die Grammatik hinkt hinter dem Wortschatz her: Das dürfte niemanden wundern. Anna ist eine von acht Ukrainerinnen und Ukrainern, die vor dem Krieg in ihr er Heimat, vor Zerstörung und dem drohenden Tod, geflohen sind und derzeit regelmäßig in der kath. Christus-Erlöser-Kirche am Rande der Erler-Siedlung die Schulbank drücken. Die Kreuztaler Caritas bietet hier, in Absprache mit der Stadt, einen Basis-Kurs an. "Wir wollten die Ferienzeit nutzen", sagt Alfons Goris. "Die Frauen und Männer lernen hier erste Vokabeln und Redewendungen, die ihnen z. B. beim Einkauf oder bei den Behörden weiterhelfen. Auf den Deutschkurs aufbauend, können sie dann leichter in offizielle Integrationskurse starten. Das Projekt heißt "Erste Schritte". Sie werden couragiert gegangen, auf einem schwierigen Weg, für den die Ukrainer dankbar sind. Auf den sie aber sehr gern verzichtet hätten.
Die Motivation ist groß. "Buchstabieren", dieses alles andere als simple Wort ruft Anna ihrer Nachbarin Olena auffordernd und lachend zu, als diese nach ihrem Heimatort gefragt wird. Buchstabe reiht sich an Buchstabe: Cherson: Wer Nachrichten liest, der ahnt, warum Olena jetzt in der Fremde eine neue Sprache lernt. Anna mag Deutsch, sagt sie. Was sie sich wünscht? Diese Frage, deren Antwort sicherlich Frieden lautet, bleibt unbeantwortet. Die Gruppe steht noch ganz am Anfang ihrer Deutschkenntnisse.
Alfons Goris ist Rentner und kein Lehrer gewesen. An der Uni aber hat der Bauingenieur früher gelehrt: "Ich sehe es Gesichtern an, wenn nichts verstanden wird", sagt er und freut sich über die engagierten Schüler im Rund: "Der Unterricht macht Spaß und erfüllt mich!" Fünf mal vier Stunden unterrichtet er die jungen Erwachsenen. Nach den Ferien übernimmt seine Frau Brigitte den Konversationskurs, den es schon seit über 15 Jahren gibt. Die Kreuztaler Caritaskonferenz kennt sich schließlich aus, bei der Unterstützung von Flüchtlingen. Als ab 2015vor allem Syrer in Kreuztal ankamen, baute das 20-köpfige Team ein bis heute funktionierendes Netzwerk auf, kooperierte lange Zeit mit der ev. Kirchengemeinde Kreuztal im Erfolgsprojekt "Café International". Dass dieser Treff überflüssig wurde, bedeutet: Ziel erreicht. "Wir stehen noch mit vielen Besuchern in Kontakt. Sie haben sich integriert. Sie melden sich aber auch, wenn es Probleme gibt." Und das Caritas-Team kümmerte sich im Lockdown um etliche Kinder, bot während der Schulschließung eine Hausaufgabenhilfe an.
Nun also rücken die Ukrainer in den Fokus. Auch in der Kleiderstube nebenan. "Wir haben der Stadt Kreuztal angeboten, alle Neuankömmlinge kostenlos mit einer Erstausstattung an Kleidung, Bettwäsche, Handtüchern und Schuhen zu versorgen", sagt Goris. "So konnten wir bereits etwa 250 Menschen versorgen. Für die Kinder gibt es Spielzeug: Die Regale und Kleiderständer leeren sich regelmäßig, sie füllen sich aber auch immer wieder gut. "Als wir die Aktion für Ukrainer gestartet haben; wurden alle Pastoren, evangelisch und katholisch, gebeten, von der Kanzel herab um Spenden zu bitten. Insbesondere Babykleidung und Spielzeug fehlte. "Der Aufruf fiel auf fruchtbaren Boden. Die Lager sind gut gefüllt, und doch sind Neuwaren jederzeit willkommen."
Denn: Auch bei vielen anderen Menschen, Einheimische und Migranten, ist der Bedarf an Kleidung groß. Inflation und Energiekrise werden mutmaßlich dafür sorgen, dass dies bis auf Weiteres auch nicht anders wird.
Die Kleiderstube der Caritas ist dienstags von 10 bis 12 Uhr und donnerstags von 14.30 bis 16.30Uhr geöffnet. Ort des Geschehens: Christus-Erlöser- Kirche, Zum Hammerseifen 26.
Quelle: Anja Bieler-Barth, Siegener Zeitung